Carsten Fock
„Vejby“
31.07. – 02.09.2021
Galerie Jochen Hempel, Leipzig
Teil 1 des Ausstellungsprojektes „Parallax“
Unterstützt durch / supported by Stiftung Kunstfonds, Neustart Kultur
„Vejby“
31.07. – 02.09.2021
Galerie Jochen Hempel, Leipzig
Teil 1 des Ausstellungsprojektes „Parallax“
Unterstützt durch / supported by Stiftung Kunstfonds, Neustart Kultur
Vejby
Sie ist wiedergefunden!
Was? Die Ewigkeit.
Es ist das Meer, verwoben
mit der Sonne.
Arthur Rimbaud
Vejby ist eine Kleinstadt an der Küste der dänischen Insel Seeland, etwa 50 km nördlich von Kopenhagen gelegen. Das dazugehörige Sommerhausgebiet Vejby Strand ist bereits fast verlassen, als Carsten Fock hier im September 2020 zu Beginn der zweiten Corona-Welle ankommt. Hinter ihm liegt eine Odyssee. Im ersten Corona-Lockdown hält er sich statt des einen geplanten Monats für fast ein halbes Jahr in der Kunsthalle Andratx auf Mallorca auf, um dann nach Kopenhagen zu reisen, wo er sich niederlassen will. Als er sich dort nicht wirklich heimisch fühlt, bietet ihm eine enge Freundin an, auf unbestimmte Zeit in ihr Ferienhaus zu ziehen, das außerhalb der Saison leer steht. Fock, der sich in einer Phase des Zweifels und der Neuorientierung befindet, nimmt ihr Angebot an. Er verbringt dort die kommenden fünf Monate in fast völliger Einsamkeit, in denen er sich einer strengen täglichen Routine von Meditation, Sport und Arbeit unterzieht.
Zwischen September 2020 und Januar 2021 arbeitet er hier an einer Reihe von mittelgroßen Papierarbeiten im Format 40 x 30, die sämtlich mit den Fingern gezeichnet sind und vom Künstler mit einem Rahmen aus weißem Papier versehen werden. Die abstrakten, gegenstandlos anmutenden Bilder entstehen zumeist zwischen Läufen an der Steilküste oder am Strand entlang, bei denen Fock beständig auf das zunächst herbstliche und dann winterliche Kattegat blickt, auf Meer und Himmel. Seine Vejby-Zeichnungen halten tagebuchartig den Wechsel der Jahreszeiten, der Farben, des Lichts fest. Sie bilden dabei eine serielle und zugleich poetische Versuchsanordnung. Auf vielen von ihnen deuten sich der Verlauf der Küste, die Lichteinstrahlung, Wolken und Nebel an.
Zugleich sind sie aber auch Meditationen über die Vereinigung von äußerem und innerem Erleben, über Ort und Ego und Zeitlosigkeit. Der Akt des Fingerzeichnens, der Verzicht auf Werkzeug, der direkte haptische Kontakt zum Papier hat etwas zutiefst Therapeutisches. Er bezeichnet den Versuch, mit den eigenen Wahrnehmungen und Emotionen in Kontakt zu kommen, das elementare Bedürfnis sich ganzheitlich zu spüren.
In Focks Werk, das sich von Anbeginn mit Sujets wie der romantischen und expressiven Landschaftsmalerei auseinandersetzte, bilden diese Papierarbeiten einen tiefen Einschnitt. Sie verzichten auf affektgeladene Gesten, großartige, kühne Setzungen, Malereizitate, politische oder popkulturelle Anspielungen, die sich sonst mit seiner Landschaftsmalerei verbanden. Sie sind trotz ihrer Leuchtkraft fein, samtig, von wolkigen Schraffuren überzogen. Sie sind ausgesprochen verletzlich. Dabei bleiben sie jedoch trocken, unaufgeregt – nichts fließt, kein Blut, keine Tränen, keine Farbe.
Natürlich kann man in ihnen Assoziationen zur romantischen Landschaftsmalerei und Caspar David Friedrich, zu den Meerbildern von Turner, den sakralen Farbräumen von Rothko, zu visionärer oder religiöser Kunst finden. Die Formate, der Fokus auf Prozess und Material – all das ist jedoch Programm für eine transzendente Malerei, die ohne Pathos auskommt. Hier gibt es keine Gefühlserhabenheit, keine Eroberung des Gipfels oder des Bildes, keinen Mönch am Meer. Carsten Focks Bilder sind zutiefst unheroisch. Sie entspringen eher einer Kapitulation, einer inneren Notlage. Sie sprechen von einer Rückkehr zum Wesentlichen, einer Verfeinerung der Wahrnehmung, einer Empfindsamkeit, die lebensnotwendig ist.
Oliver Koerner von Gustorf
Carsten Fock
Vejby
It is found again!
What? Eternity.
It is the sea, mingled
with the sun.
Arthur Rimbaud
Vejby is a small town on the coast of the Danish island of Zealand, about 50 km north of Copenhagen. The surrounding summer cottage area of Vejby Strand is already quasi-deserted when Carsten Fock arrived there in September 2020 at the beginning of the second wave of the coronavirus pandemic. An odyssey lies behind him. During the first lockdown, instead of the initially planned visit of one month, he had stayed at the Kunsthalle Andratx in Majorca for almost half a year and then travelled on to Copenhagen, where he intended to settle down. When he didn’t really feel at home in the Danish capital, a close friend offered him to move indefinitely into her holiday home, empty in the off-season. Fock, in a phase of doubt and reorientation at the time, accepted her offer. He spent the next five months in Vejby in almost complete solitude, upholding a strict daily routine of meditation, sport and work.
Between September 2020 and January 2021, he stayed there and produced a series of medium-sized works on paper measuring 40 × 30 cm, all drawn with his fingers and framed by Fock himself with white paper. The abstract, seemingly objectless pictures were mostly created between runs along the steep cliffs or the beach, runs during which Fock constantly gazed at the first autumnal and then wintry Kattegat, at the sea and the sky. His Vejby drawings record the changing seasons, colours and light like a diary. They form a serial and at the same time poetic experimental arrangement. In many of them, the course of the coast, the light, the clouds and the fog are alluded to.
At the same time, however, they are meditations on the union of outer and inner experience – on place, ego and timelessness. The act of finger drawing, the renunciation of tools and the direct haptic contact with the paper has something deeply therapeutic about it. It denotes the attempt to come into contact with one’s own perceptions and emotions, the elementary need to feel and experience oneself holistically.
In Fock’s oeuvre, which has from the outset dealt with subjects such as Romantic and expressive landscape painting, these works on paper form a deep break. They dispense with affect-laden gestures, grandiose, bold settings, pictorial references and political or pop-cultural allusions that were otherwise associated with his landscape painting. Despite their luminosity, they are fine, velvety, covered with cloudy hatchings. They are decidedly vulnerable. Yet they remain dry, unexcited – nothing flows, no blood, no tears, no colour.
Associations naturally abound to Romantic landscape painting and Caspar David Friedrich, to the maritime paintings of Turner, the sacred colour spaces of Rothko and to visionary or religious art. The formats, the focus on process and material – all this, however, is the programme for a transcendent painting that entirely does without pathos. There is no emotional sublimity here, no conquest of the summit or the picture, no monk by the sea. Carsten Fock’s paintings are profoundly unheroic. They rather spring from a capitulation, an inner distress. They speak of a return to the essential, a refinement of perception, a sensitivity that is vital.
Oliver Koerner von Gustorf
translation: Dr. Ariane Kossack