Barbara Proschak
on print
23.10. – 20.11.2021
Galerie Jochen Hempel, Leipzig
Teil 3 des Ausstellungsprojekts
„Parallax“
Unterstützt durch / supported by Stiftung Kunstfonds, Neustart Kultur
on print
23.10. – 20.11.2021
Galerie Jochen Hempel, Leipzig
Teil 3 des Ausstellungsprojekts
„Parallax“
Unterstützt durch / supported by Stiftung Kunstfonds, Neustart Kultur
Barbara Proschak – on print
Eine dunkle Fläche, die neugierig macht. So lässt sich der erste Eindruck von Barbara Proschaks überzeichneten Fotografien charakterisieren. Eine Bildfläche, die zwar zunächst dunkel und still erscheint, dann aber anfängt, sich zu bewegen, zu funkeln. Eine Bildfläche, die den Betrachtenden erst zweidimensional begegnet, bei längerem Hinsehen aber eine erstaunliche Tiefenwirkung entfaltet: Aus dem Schwarz beginnen grünliche, bläuliche, rötliche Farben hervorzuschimmern, die verborgen geglaubte Motive freilegen. Diese Motive bleiben allerdings uneindeutig und damit anspielungsreich: Ist da eine Schlucht, eine geöffnete Muschel oder eine sogenannte ‚Vagina Dentata‘ zu sehen?
Proschaks mit einem feinen Permanentmarker überzeichneten Bilder zeugen von einer mehrfachen Dynamik: Sie sind aus den Bewegungen der Künstlerin entstanden, die sich mit ihrer körperlichen Arbeit in das Bild einschreibt, wenn sie sich Strich um Strich, Zentimeter für Zentimeter, Minuten, Stunden und Tage über das Bild und mit dem Bild bewegt. Diese Energie geben die Arbeiten schließlich an die Betrachtenden ab: Bewegt man sich selbst, bewegt sich auch das Bild: Sichtbares wird verborgen, Unsichtbares tritt hervor. Das gilt nicht nur für die Überzeichnungen.
Im seriellen Arbeiten macht sich die Lust am Erforschen und Experimentieren bemerkbar, was Proschak zu einem Spiel mit dem vergleichenden Sehen konzeptualisiert hat. Ein wichtiges Spannungsfeld des seriellen Arbeitens ist Wiederholung und Variation. Mit ihrem gesamten Werk begibt sich Proschak auf dieses Feld: Motive und Bilder werden mehrfach aufgenommen, ausgedruckt und wieder fotografiert, sind sich ähnlich und doch verschieden, werden wiederholt in unterschiedlichen Zusammenstellungen ent- und neukontextualisiert, dann einander gegenübergestellt oder voneinander getrennt. Je nach Konstellation können ihre Bilder zu Hauptdarstellern werden oder nur als Punctum fungieren.
Durch die stete Wiederkehr von Motiven und Bildern werden einerseits Gemeinsamkeiten sichtbar, andererseits wird der Blick für die Unterschiede im Detail geschärft. Es werden Ordnungen und Systematisierungen her- und zugleich in Frage gestellt. Durch die Variationen wird das Verhältnis der einzelnen Teile zum Ganzen hinterfragt: Stehen die Motive in einem hierarchischen Verhältnis zueinander – oder sind sie gleichwertig?
Vergleichendes Sehen sowie das Erstellen von Ordnungen und Systematisierungen sind Praktiken, die aus der Wissenschaft bekannt sind, und vor diesem Hintergrund sind Barbara Proschaks Arbeiten auch als künstlerische Forschung zu verstehen.
Daher überrascht es wenig, dass sie an eine besondere Faszination appellieren, die von Objekten ausgeht, die sich üblicherweise in naturkundlichen Museen befinden. Präparierte Schmetterlinge, Nachtfalter und andere Kleinsttiere, auf Spannbretter aufgereiht und sorgfältig in Schaukästen arrangiert. Einst lebendig fallen nun ihre materiellen und ornamentalen Eigenschaften ins Auge. Aus Schmetterlingen, die Blumen umflogen, oder Muschelgehäusen, die ein Lebewesen beherbergten, sind Objekte und Bilder geworden, die rührend sind und innehalten lassen. Dieses stille Pathos beinhalten und thematisieren die Arbeiten von Proschak.
Das Werk von Barbara Proschak wird von einer ungewöhnlichen Ambivalenz beherrscht: der Hinwendung zur Serialität und Reproduzierbarkeit von Bildern einerseits und der Faszination am Originalen, Materiellen andererseits. Diese Beidseitigkeit ist deshalb in gewisser Weise paradox, da sich gerade mit der Serialität oft der pessimistische Topos vom Ende des Sinns und der Geschichte verband. In der Wiederholung, im Plural der Bilder, sah man eine Nivellierung und Standardisierung – und damit keine Würdigung, sondern den Verfall von Originalität und Echtheit. „on print“ weist Proschak diesen Pessimismus zurück: Auch das Wiedergekehrte ist einzigartig, auch das Vergangene ist lebendig.
Text: Annekathrin Kohout
Barbara Proschak – on print
A dark surface that arouses curiosity. This is how the first impression of Barbara Proschak’s overdrawn photographs can be characterized. A picture surface that at first appears dark and still, but then begins to move, to sparkle. An image surface that first confronts the viewer in a two-dimensional way, but which unfolds an astonishing depth effect upon longer viewing: Greenish, bluish, reddish colors begin to shimmer out of the black, exposing motifs that were thought to be hidden. These motifs, however, remain ambiguous and thus allusive: is there a canyon, an open shell, or a so-called ‚vagina dentata‘ to be seen?
Proschak’s pictures, overdrawn with a fine permanent marker, bear witness to a multiple dynamic: they have emerged from the movements of the artist, who inscribes herself in the picture with her physical work as she moves stroke by stroke, centimeter by centimeter, minutes, hours and days over the picture and with the picture. The works ultimately transmit this energy to the viewer: If one moves oneself, the picture moves as well: the visible becomes hidden, the invisible emerges. This is not only true for the overdrawings.
In serial work, the desire to explore and experiment makes itself felt, which Proschak has conceptualized as a game with comparative seeing. An important area of tension in serial work is repetition and variation. Proschak enters this field with her entire oeuvre: motifs and images are photographed several times, printed out and photographed again, are similar and yet different, are repeatedly de-contextualized and re-contextualized in different constellations, then juxtaposed or separated from one another. Depending on the constellation, their images can become main characters or function only as punctum.
Through the constant recurrence of motifs and images, on the one hand commonalities become visible, on the other hand the view for the differences in detail is sharpened. Orders and systematizations are created and at the same time questioned. Through the variations, the relationship of the individual parts to the whole is questioned: Are the motifs in a hierarchical relationship to each other – or are they of equal value?
Comparative seeing as well as the creation of orders and systematizations are practices familiar from science, and against this background Barbara Proschak’s works are also to be understood as artistic research.
It is therefore hardly surprising that they appeal to a particular fascination that emanates from objects usually found in natural history museums. Taxidermied butterflies, moths, and other tiny animals, lined up on stretchers and carefully arranged in display cases. Once alive, their material and ornamental qualities now catch the eye. Butterflies that flew around flowers or shell casings that housed a living creature have become objects and images that are touching and give pause. Proschak’s works contain and address this quiet pathos.
The work of Barbara Proschak is dominated by an unusual ambivalence: the turn to seriality and reproducibility of images on the one hand and the fascination with the original, material on the other. This two-sidedness is in a certain sense paradoxical, since seriality is often associated with the pessimistic topos of the end of meaning and history. In the repetition, in the plural of images, one saw a leveling and standardization – and thus not an appreciation, but the decline of originality and authenticity. „on print“ Proschak rejects this pessimism: even the recurring is unique, even the past is alive.