Benjamin Bergmann
„MINIMIZE“
07.06. – 27.07.2024
Galerie Jochen Hempel, Leipzig
„MINIMIZE“
07.06. – 27.07.2024
Galerie Jochen Hempel, Leipzig
MINIMIZE
„Und so steht der Künstler denn in schwarzem Anzug schmal und entschlossen auf einer erhöhten Plattform, angestrahlt von Konzertscheinwerfern, einer Flugzeugturbine gegenüber und brüllt dem krachenden Motorenlärm seine Version des Liedes “I‘m in Heaven” entgegen, ebenso energetisch, wie vergeblich.“
(Prof. Dr. Stephan Berg, Kunstmuseum Bonn)
In seiner aktuellen Ausstellung MINIMIZE gruppiert Benjamin Bergmann mehr als 20 neue Arbeiten um jenes zentrale Werk aus dem Jahr 2001. HEAVEN, mit dem der Künstler am Beginn seiner Laufbahn debütierte, war eine hochenergetische und ekstatische Geste, die sein Publikum in einen physisch und psychisch erfahrbaren Erlebnisprozess gefangen nahm. Kunst mit dem Hintergedanken, diese gar mit geschlossenen Augen wahrzunehmen, zu erfühlen und sämtliche Sinne des Publikums zu fordern.
Auch wenn seit HEAVEN nahezu 25 Jahre vergangen sind und das Werk sich stetig weiterentwickelt hat, bewegen den Künstler nach wie vor die existentiellen Fragestellungen, wenngleich sie dem sich stetig wandelnden Zeitgeist, einer gesellschaftlichen, sozialen und politischen Entwicklung Rechnung tragen. So ist die Wahrnehmung des Betrachters, der Umgang mit Energie, das Einflechten daseinsbedingter Momente in eine bildnerische Erzählung, Vergänglichkeit und das Zyklische nach wie vor ein zentraler Gedanke seiner Arbeiten.
Während sich Bergmann in HEAVEN in der überschwänglichen Geste aufzulösen scheint, sind die neuen Arbeiten ein Gegenpol aus Stille, Licht und Schatten, Energie, die – einer umgekehrten Ladung gleich – den feinen und sensiblen Schwankungen nachfühlt. Im Kleinen das Große wahrzunehmen, aus kleinsten Bestandteilen etwas großes Ganzes entstehen zu lassen, das sind die Bilder, denen der Künstler in MINIMIZE nachfühlt.
So sind die schwergewichtigen Bildtafeln aus der Serie ROCCO aus 1,5 cm dickem Stahl geschnitten. Sie zeichnen die Silhouette ehemals barocker Rahmen nach. Monochrom schwarz oder weiß eingefärbt verzichten sie auf jegliche inhaltliche Erzählung, tragen lediglich die Spuren der industriellen Fertigung, die bei der Stahlproduktion entstanden sind. Während die schwarzen Tafeln wie Schatten vor der weißen Wand zu schweben scheinen, wirken die weißen ROCCOs wie Bilder, die mit der Wand verschmelzen und sich nahezu auflösen. ROCCO I – X erinnern an jene Flächen, die zurückbleiben, wenn Bilder nach Jahrzehnten den angestammten Platz verlassen und nur noch als schwaches Spiel aus heller und vergrauter Farbe von einer vergangener Existenz und gewesenem Ambiente erzählen.
SUNSET 2781 wirkt wie die zweitausendsiebenhunderteinundachtzigste Version eines romantischen Sonnenuntergangs oder aber wie eine nahende Abendstimmung, die sich so in der Zukunft abspielen könnte. Auf einem bedrohlichen Wolkenhimmel platziert – eine Wandtapete, die sich aus hunderten Schwarzweißkopien zusammensetzt – wirkt das Dyptichon wie ein endloses Panorama, ein Meer aus verführerischer Farbe, das die Welt in seiner Unendlichkeit abzubilden scheint. Und doch ist diese Verlockung Trugbild. Denn die Unendlichkeit ist die Wiederholung des gleichen Motivs im Wechselspiel aus Nah und Fern.
NoMansLand ist eine 160 x 155 cm große Spiegelfläche aus poliertem Edelstahl. Die abstrakt anmutende Silhouette des Spiegels vereint sämtliche Wasserflächen der Welt. Sie offenbart den Blick auf eine Realität, bei der territoriale Grenzen ausgeblendet sind. Auch wenn sich in Teilen angrenzende Länder erahnen lassen, so suggeriert die spiegelnde Oberfläche eine verführerische Offenheit, die sich in Richtung eines kosmischen, schier unendlichen Raumes zu öffnen scheint.
An einer der oberen Raumecken der Galerie entdecken wir Buchstaben, die aus schwarz gefärbtem Styropor zu bestehen scheinen. Abgeformt und in Gusseisen reproduziert verbindet sich darin Leichtigkeit mit hoher Dichte und Gewicht. Die Buchstaben sind aufgrund ihrer ungewöhnlichen Anbringung der herkömmlichen Lesart entrückt. Während man den einen Teil als ENKEN entziffern und zunächst vielleicht für einen Namen halten mag, wirkt UMD fast wie ein Tippfehler des Wortes UND.
bonsai – eine abstrahierte, gleichfalls in schwerem Stahl geschnittene Silhouette – ist Zeuge hoher japanischer Gartenkunst und Philosophie. Größe, die sich im Kleinen manifestiert. Der Bonsai, miniaturisiertes Abbild der Natur, erweist sich bei sorgfältiger Pflege, die sich über Generationen erstreckt und weitergegeben wird, ebenso standhaft und widerstandsfähig wie seine „übergroßen“ Vorbilder.
Gleichfalls durch die Natur inspiriert ist die Camouflage HELLO GOODBYE: Eine Mimikry, Nachahmung der Natur, mit dem Ziel ein Tarnbild zu erzeugen. So dienen sich wiederholende, aneinandergereihte organische Formen dazu, mit ihrer Umgebung zu verschmelzen. Bergmann verwendet bei seiner Camouflage Pixel, kleinste digitale Einheiten, die sich in unserer modernen Welt zu einer Art Pulsader des Lebens formiert haben. Die 1,2 und 10 mm großen Quadrate formieren sich zu einem Muster aus Spiegelfläche und durchsichtigem Glas. So entsteht ein komplexes Wechselspiel zwischen Absorbtion und Reflexion. Die durchsichtigen Glasfelder verschmelzen mit der dahinterliegende Wand, während die spiegelnden Elemente die Umgebung reflektieren. Dem neugierigen Blick folgend überträgt sich das Tarnbild auf den Betrachter, dessen Abbild – gleich einer Aura – sich in der fragmentierten Wiedergabe verliert und im Rhythmus der Pixel aufzulösen scheint.
MINIMIZE spinnt einen seidenen Faden zwischen BesucherInnen und Kunstwerk. Aber auch die Werke untereinander bilden in Ihrer Platzierung und Gegenüberstellung einen Austausch, bei dem ein gedanklicher Anstoß des einen im Gegenüber des Anderen eine bewusste, gedankliche Weiterführung erfährt.
So reflektiert beispielsweise DER RISS den bedrohlichen Wolkenhimmel der Installation SUNSET 2781, die sich in direkter Nachbarschaft befindet. Wie ein Punkt, der spazieren geht bewegt sich eine feine, stets die Richtung wechselnde Linie aus Edelstahl über die Wand. Auf der einen Seite gleicht sie einem Blitz, im Wechsel zwischen Dunkelheit und plötzlichem Aufleuchten. Auf der anderen Seite beschleicht einen beim Nähertreten das Gefühl, dass es sich vielleicht doch um einen Riß in der Wand handeln könnte, der den Blick auf ein Dahinter freigibt.
KEEP THE FIRE BURNING, THE FINAL SCENE und HEAVEN kommunizieren in ähnlicher Weise miteinander. Während I’M IN HEAVEN nicht nur als unverrückbare Aussage, sondern gleichsam als zweifelnde Fragestellung zu verstehen ist, ob der einstmals eingeschlagene Weg noch immer das wahre Glück verspricht, manifestiert sich in THE FINAL SCENE, dass alles (Glück) vergeht und selbst Romeo im letzten Akt und ehe der Vorhang fällt, sein Leben verlieren wird.
In Bergmann‘s MINIMIZE scheint nichts vordergründig abgebildet, offenkundig auf einen narrativen Bildinhalt oder eine visuelle Erzählung verzichtet worden zu sein. Und doch manifestieren sich in den sensibel gefügten Umrissen der Werke Displays mit einer verführerischen Kraft und Poesie, die über das Nichts, die Welt, einen immer währenden Rhythmus aus Spannung und Entspannung nachdenken. Und eben in dieser Reduktion, dem Nachhall der Stille liegt die Kraft dieser Werke.
HEAVEN aus dem Jahr 2001 ist hier der Gegenpol, bei dem sich jugendlicher Überschwang und endlos scheinende Lebenszeit als privilegierte Momentaufnahme, nicht aber als ein fortwährender Zustand kristallisiert. Und doch kann man Stille nur im Wechsel und der Schwankung wahrnehmen. Und wenn wir den Galerieraum verlassen werden, hat uns Bergmann nicht nur Fragmente der Wahrnehmung mitgegeben, er entlässt uns auch in eine Welt, begleitet vom Rhythmus und steten Beat von HEAVEN, der uns als Echo bis an das Ende jenes einen Tages begleiten wird.