Beat Streuli
08.06. – 29.07.2023
Galerie Jochen Hempel, Leipzig
08.06. – 29.07.2023
Galerie Jochen Hempel, Leipzig
Letztes Jahr habe ich zwei Monate am Istituto Svizzero in Rom verbracht. Es war eine Rückkehr: Ich hatte dort bereits in den späten 1980er Jahren gelebt und gearbeitet. Seitdem bin ich nicht mehr nach Rom zurückgekehrt. Die „Ewige Stadt“ hatte sich in der Zwischenzeit verändert, und ich auch, sowohl als Mensch als auch als Künstler. Diese Situation machte mich neugierig: Wie wäre es, nach langer Abwesenheit an denselben Ort zurückzukehren und dort wieder zu arbeiten?
In Rom hatte ich mein „künstlerisches Coming-out“, was die so genannte Straßenfotografie betrifft. Zu dieser Zeit brauchte man als bildender Künstler eine gewisse Portion Mut, um sich auf die Fotografie zu beschränken. In der Tat hatte es bis in die 1990er Jahre gedauert, bis das Medium Fotografie in der Kunst voll akzeptiert wurde. Inspiriert von Rom und seiner Tradition des Lebens im öffentlichen Raum, vom Forum Romanum bis zur Via del Corso, mit viel Zeit und der Möglichkeit, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren, hatte ich dort diesen Schritt getan. Seitdem sind die „situationistische“ Stadtbegehung und eine „absichtslose“ fotografische Herangehensweise, soweit dies möglich ist, zu meiner bevorzugten Arbeitsmethode geworden. Einige andere Elemente haben dies seither bereichert, vor allem die Kontextualisierung der Fotografien, zum Beispiel groß angelegte Interventionen im öffentlichen Raum. Auch in dieser Hinsicht hatte ich mich bereits von Rom inspirieren lassen, wo Oliviero Toscanis monumentale Plakate für Benetton, die kontrovers diskutiert wurden, zu einem gesellschaftlichen Phänomen geworden waren.
Ich war also neugierig: Was würde ein „Remake“ 35 Jahre später, unter Vermeidung jeglicher Nostalgie, bringen? Es scheint offensichtlich, dass es heute viel mehr Touristen und gefühlt weniger Autos in der Stadt gibt – und mehr zeitgenössische Kunstinstitutionen, die es damals noch kaum gab. Aber sind diese Veränderungen, die sich innerhalb weniger Jahrzehnte in einer Stadt vollzogen haben, die als ewig gilt, wirklich von Bedeutung? Ein Beispiel sind die Mobiltelefone, die damals noch nicht existierten und heute auf den Straßen allgegenwärtig sind. Das bietet Soziologen reichlich Material zum Studieren und Analysieren. Meine Arbeit hingegen bestand schon immer darin, das Gewöhnliche, Alltägliche und Unspektakuläre für sich sprechen zu lassen und die Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten zwischen geografisch und kulturell unterschiedlichen Regionen mindestens so stark zu gewichten wie ihre Unterschiede, und das gilt analog auch für unterschiedliche Zeiträume.
Last year I spent two months at Istituto Svizzero in Rome. It was a return: I had already lived and worked there in the late 1980s. Since then, I have not returned to Rome. The „Eternal City“ had changed in the meantime, and so had I, both as a person and as an artist. This situation made me curious: what would it be like to return to the same place after a long absence and work there again?
In Rome, I had had my „artistic coming out,“ as far as so-called street photography was concerned. At that time, as a visual artist, it took a certain amount of courage to limit oneself to photography. In fact, it had taken until the 1990s for the medium of photography to be fully accepted in art. Inspired by Rome and its tradition of living in public spaces, from the Roman Forum to Via del Corso, with plenty of time and the opportunity to focus on my work, I had taken that step there. Since then, „situationist“ urban meanderings and a „non-intentional“ photographic approach, as far as this is possible, have become my preferred working method. Some other elements have enriched this since then, especially the contextualization of the photographs, for example large-scale interventions in public space. In this respect, too, I had already been inspired by Rome, where Oliviero Toscani’s monumental posters for Benetton, had become a socially controversial phenomenon.
So I was curious: what would a „remake“ 35 years later, avoiding any nostalgia, bring? It seems obvious that there are many more tourists and perceived fewer cars in the city today – and more contemporary art institutions that barely existed back then. But do these changes, which have taken place in just a few decades in a city that is considered eternal, really matter? One obvious example is cell phones, which didn’t exist then and are now ubiquitous on the streets. That provides sociologists with plenty of material to study and analyze. My work, on the other hand, has always been to let the ordinary, everyday and unspectacular speak for themselves and to give at least as much weight to the similarities and commonalities between geographically and culturally different regions as to their differences, and this applies analogously to different time periods.