Barbara Proschak
Meisterschüler Abschluss, 2020
Meisterschüler Abschluss, 2020
SO LANG UND ETWAS LÄNGER
–
Anhaften von Fremdmaterial
– So lang und etwas länger –
Ich bediene mich der Fototechnik in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen dem Apparat, dem Ausschnitt, dem entwickelten oder gedruckten Bild, analog oder digital.
Ich sammle Bilder und Gegenstände ordne sie nach meinen eigenen Kategorien, gehe mit ihnen in mein Laboratorium und arbeite damit. Haptisch und gedanklich. Meine Skizzenbücher sind gefüllt mit kleinformatigen Fotografien. Ich lege sie in Schachteln, sortiere sie, ordne sie, ordne sie um und ordne sie erneut neu. Bisher erstellte ich häufig installative Bilderwände und Vitrinen und pinnte Bilder in große Kästen. Dabei sollte jedes Bild mit jedem in Beziehung treten können. Grenzen von Disziplinen spielen dabei keine Rolle. Kunst, Wissenschaft, Phantasie, Gesellschaft und Alltag überschneiden sich.
Ich bin im Prozess, bewege mich dabei und entscheide von Moment zu Moment. Im Tun. Ich spanne auf und falte ein, nähere mich an und distanziere mich, löse auf und führe zusammen, überdecke und entblöße, horte und destilliere.
Ich bin im Prozess, bewege mich dabei und entscheide von Moment zu Moment. Im Tun. Darüber will ich sprechen. Über das Machen.
Robert Morris schrieb folgendes: ich entnehme diese Gedanken aus:
Bemerkungen zur Skulptur, Zwölf Texte
Eine Bemerkung zur Phänomenologie des Machens. Die Suche nach dem Motivierten (1970)
„In jedem Ereignis, das wir erleben, hat Zeit für uns eine Richtung, verfügt Raum über Nähe und Ferne, haben unsere eigenen Körper ein intimes Bewusstsein von Gewicht und Gleichgewicht, Oben und Unten, Bewegung und Stillstand und ein Grundgefühl für die körperlichen Grenzen unseres Verhaltens in Bezug auf all diese Wahrnehmungen.“
Kurz nach meinem Diplom 2015 fotografierte ich bei einem Besuch im Naturhistorischen Museum in Wien eine Muschel. Ein auseinanderklaffendes Objekt in schillernden Farben. Es erzeugte Lust in mir. Ich nahm mir das Objekt in Form einer Fotonotiz mit. Dieses Bild fand vorerst seine Platz im Skizzenbuch und kam mir 2018 bei einem meiner Rechercheaufenthalte in den Sammlungsräumen des Museum für Naturkunde in Berlin wieder in den Sinn und ließ mich nicht los.
So begab ich mich in die Abteilung der Schnecken und Muscheln, ließ mir viele Sammlungsstücke zeigen und Informationen dazu geben. in diesem Gespräche entstanden, als Notizen aufgenommen, die Motive, die Sie hier sehen. Diese Fotografien wurden zu den zentralen Trägermaterialien dieser Werkgruppe.
Woraus bestehen diese Objekte im Kern? Ihr Innenmaterial ist Perlmutt. Meist nicht sichtbar, denn Schichten überlagern das Innen.
– Anhaften von Fremdmaterial –
Für mich ist dies die Retusche.
Im Französischen: retouche – erneut, wieder berühren.
Die Retusche, eine sehr gängige Technik in der Bildbearbeitung. Schon immer. Ein Anhaften von Fremdmaterial um zu einem bestimmten Ziel zu kommen. Entfernen, verbergen, hervorzuheben, kolorieren, usw.
Diese Technik wurde in den letzten zwei Jahren zu meinem Handwerkszeug. Ich trete an die Oberflächen heran und tauche über das Blatt gebeugt ein in meinen Arbeitsprozess ein. Akribisch und rhythmisch bewege ich mein Handgelenk, den Stift haltend. Manchmal über Stunden hinweg, manchmal nur für eine Zeile. Der Duktus ist tagesformabhängig und ich entscheide im Moment des Einschreibens über die Höhe, die Dichte und die Stärke des Strichs. Auch über die Länge der Zeilen. Ich entscheide. So entstehen Abschnitte, Längen und Leerstellen. Durch die aufgetragenen Striche entsteht langsam ein Gewebe. Es erscheint flexibel obwohl es festgeschrieben ist. Durch die Bewegung im Betrachten wird das Bild lebendig. Ich erlebe Atembewegungen.
Jeder Strich ist ein Versuch an den Kern zu kommen und bis zum Perlmutt vorzudringen, ja gar einzudringen.
Das Überzeichnen, mein Abtasten, lässt gleichzeitig die fotografische Notiz nahezu verschwinden und ein kräftiges neues Bild entstehen. Es wabert und verformt sich. Fern- und Nahwirkung unterscheiden sich erheblich. Ist es aus der Ferne eine nahezu schwarze Fläche, ist es im Detail eine Ansammlung von Strichen, Farben und Opazitäten.
Im Umschreiten der Bilder changiert der Auftrag. Der Glanz verändert sich, es werden einzelnen Absätze und Formen sichtbar. Fotomotiv und Permanentstift verbinden sich zu einer Ebene und entfalten gleichzeitig eine Vielschichtigkeit.
Eine zeitliche Dimension lässt sich erahnen. Auch eine Körperhaltung, die ich im Prozess der Einschreibung einnehme. Was entsteht, ist Patina.
Der Prozess und das Gefühl dazu ist vergleichbar mit der Schalenentwicklung im SW Labor. Das latente Bild tritt langsam hervor und erscheint an der Oberfläche, nur dass die Zeitspanne in meinem Prozess sehr viel ausgedehnter ist.
Ich komme zum Punkt. Sie sehen eine Fotografie, eine Nachstellung des Buchcovers, das auf genau diesem Buch liegt, nur die Körperhaltung ist entgegengesetzt. Notizzettel sind im Buch und verweisen auf Inhalt und Fülle. Ebenso die aufeinandergepresste Seiten.
Für mich ist dieses Bild die Metapher meines Tuns und meiner Motivation.