Sven Kroner
GREEN HOUSE
14.06. – 05.07.2025
Galerie Jochen Hempel, Leipzig
GREEN HOUSE
14.06. – 05.07.2025
Galerie Jochen Hempel, Leipzig
Tag- und Nachtgleiche
Abseits der Frage, ob der Mensch an sich die Wirklichkeit erkennen kann, stellt sich die Frage, ob die Aufgabe der Kunst allein darin besteht oder bestehen sollte, Wirklichkeit abzubilden und sei dem selbst nur da, wo sie abbildhaft, ‚realistisch‘ oder ‚figurativ‘ ist. Kunst ist eine menschliche Schöpfung, ein Diskurs, Material und Zeichen. Begriffen als Zeichen und Zeichensystem ist sie wirklich und sie kann Ereignisse, etwa der für Menschen sichtbaren Welt der Dinge und Handlungen vorstellen und erscheinen lassen. Sie kann auch sichtbar machen, bezogen auf den visuellen Erfahrungsraum des Menschen, was als Vision nicht den Anspruch erhebt wirklich zu sein, jedenfalls da, wo nicht der Anspruch besteht, es gäbe nur die eine, absolute Wirklichkeit. Wenn es also heißt, Kunst wäre Täuschung oder könnte täuschen, dann nur da, wo ein allzu enger Begriff der Wahrheit oder der Deutung der Zeichen herrscht. Damit soll nicht geleugnet werden, dass auch in den visuellen Künsten der Versuch gemacht wurde, Bildwerke von einer derartigen Illusionskraft zu gestalten, das Vögel nach gemalten Weintrauben pickten und selbst ein Maler versuchte, den gemalten Vorhang eines Kollegen zur Seite zu schieben. Dieses Beispiel betrifft einen Bericht über den griechischen Maler Zeuxis aus der Enzyklopädie „Naturalis historia“, die Plinius der Ältere verfasste. In diesem Sinn ist Sven Kroner vom Vorwurf und Selbsvorwurf der Täuschung freizusprechen.
Trotzdem trägt sein Werk und das zahlreicher anderer Künstler den Makel der Anstiftung zur Selbsttäuschung des Publikums oder seiner selbst. So berichten unter anderem Philostephanus von Kyrene und Ovid von einem Menschen namens Pygmalion, der eine Skulptur in Gestalt einer Frau wie eine wirkliche Frau liebte. Es ist also ein durchaus altes „Übel“ der Fähigkeit des Menschen zur Übertragung, zur psychologischen oder gar „magischen“ Projektion auf natürliche und künstliche Dinge, die von Kunstschaffenden, Zaubernden, Hexern und Priesterinnen schamlos (wenn bewusst und erkenntnisreich praktiziert) genutzt oder gar ausgebeutet wird. Es sei denn wiederum, jene Kräfte machten ihre „dunklen“ Künste als solche ansichtig und transparent, wenn sie also auch dazu anstiften, den Blick, das Verständnis des Geistes auf die „Tricks“ und Mittel selbst zu richten, die Künstlichkeit zu offenbaren. Die zur Erkenntnis befähigten Rezipierenden sind im schlimmsten Fall gezwungen, die Künstlichkeit der Kunst, der Zauberei, des Ritus zu erkennen und ihrer verführerischen Kraft zu begegnen, am besten gefesselt am Mast, wie Odysseus in Hörweite der Sirenen.
Da Sven Kroner keinen Zweifel an der Künstlichkeit seiner Kunst lässt, seine Tricks, die Methoden der Malerei vor Augen führt, ist also auch vom Vorwurf der Anstiftung zur Selbsttäuschung letzten Endes freizusprechen. Der Baum der Erkenntnis führt zwar bedauerlicherweise zum Ausschluss aus dem Paradies der Unschuld und Einheit hinein in eine sehr komplizierte und differenziert wahrzunehmende Welt, die wiederum ihren Reiz und Sinn auch in der Kraft der Fiktion findet, wenn ihr gestattet wird, Fiktion zu bleiben. Also bleibt am Ende der Vorwurf, das Sven Kroner und seine Spießgesellen behaupten, Kunst sei möglich und erlaubt, könne vielleicht auch den allzu leichtfertigen Glauben an medial repräsentierte Ideen erschüttern.
Sven Kroner leugnet mit seinem Werk an keiner Stelle, das er malt. Wie im Fall von Simone Lukas ist dies ein grundsätzliches Bekenntnis zum Medium, zu Pinselstrichen mit Farbe auf Leinwand oder gelegentlich anderen Bildträgern. Die Farben entsprächen sehr frei der allgemeinen visuellen Erfahrung, das Licht wird ebenso frei gesetzt, frei von einer einheitlich konsequenten Befolgung einer Imitation der Naturgesetze. Abbilder werden mit Abbildungen von Abbildern kombiniert, das Ding mit dem Modell des Dings. Die Betrachtenden seiner Werke werden im Bild nicht in traditioneller Weise als Menschen „eingespiegelt“. Zu Stellvertretenden des Vorgangs der Betrachtung werden Tiere: da ein Hase, dort ein Fuchs, hier ein Wolf und auch das Reh. Der Blick auf die innere Fiktion wird gebrochen durch an anderes Lebewesen, das die Frage aufwirft, wer denn wie betrachtet, mit welchen Eigenschaften des Sehens und auch mit welchem Interesse. Der Akt der Betrachtung ist relativ und vermag durch die naturgemäß fiktive Einfühlung in das andere Wesen, die dieses real und gleichberechtigt respektiert, den eigenen Blickwinkel erweitern, die Möglichkeiten der eigenen Sicht und Sichtweise zu hinterfragen. Nicht zuletzt, was findet statt, wenn die Betrachtenden das andere Wesen selbst anblickt, werden diese dann nur selbst wieder Ding und Objekt, gar als Zeichen oder als lebendes, vielleicht sogar beseeltes Wesen erkannt?
Richtet sich der Blick auf die abgebildeten Gegenstände und die abgebildeten Abbildungen von Gegenständen, zudem auf die Abbildungen von Abbildungen von Abbildungen wird ein iterativer Prozess sichtbar, der ad infinitum und ad nauseam, fortgeführt werden könnte: a dream within a dream, im Sinne Edgar Allan Poes, vielleicht ein Abgrund im Abgrund, der zurück blickt, im Sinne Friedrich Nietzsches, a rose is a rose is a rose, wäre von Seiten Gertrude Steins zu ergänzen. In Sven Kroners Bildern findet sich vermutlich auch Sven Kroner, selbst auch dann, wenn jedes Wissen über ihn okkult werden mag. Ginge man davon aus, man wüsste nichts über ihn oder wollten davon ausgehen, das Privates privat bleiben und sein sollte, dann wüsste man doch genug, um ein kleines Lexikon seiner Motive zu kreieren, die sich mit Dingen der überlieferten Welt in Bezug setzen ließe. Da sind exakt datierbare Schallplatten zu erkennen, Figuren aus dem filmischen Kosmos von „Star Wars“, Züge aus dem früheren Fuhrpark der Bundesbahn, Häuser, Kirchen und Landschaften, die der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entsprechen, in einer Landschaft, die mittel- und westeuropäische Charakteristika besitzt, gelegentlich beinahe verortbar. Das reicht schon aus und muss nichts Privates dechiffrieren, denn als öffentlich zugängliches Werk will das Gezeigte nicht privat sein. Es ist aber keine Bestandsaufnahme von Allem, sondern eine vom Autoren, vom Maler als Individuum ausgewählter Bestand des für ihn Erwähnenswerten. Malt er allerdings Bilder von Malern und malt deren Werke ohne pejorativem Ton, ist wohl zu mutmaßen, dass er diesen Werken Achtung, Beachtung entgegenbringt, die also die Frage eröffnen mögen, was ihm Caspar David Friedrich oder Vincent van Gogh auch künstlerisch bedeuten mögen. Welche Rolle spielt eben die Musik, die mit der malerischen Reproduktion von Plattencovern, beispielsweise von Pink Floyd oder Neil Young, angedeutet wird? Innerhalb einer vorscheinlichen biedermeierlichen, befriedeten Idylle der Landschaft und des Interieurs finden sich beiläufig Momente des Erhabenen und auch des Horrors, die der Fähigkeit zur Übertragung auch die der Abspaltung existenziell und ästhetisch entgegen setzt, wo Sensation mit Schock und Faszination in eins fallen. Anlass genug geben Natur und Mensch zugleich. Alldieweil Siedlungsbauten einer Zeit nach einem weiteren Untergang auf der Suche und im möglichen Finden einer behaglichen Zeit in Heim und Heimat in einem fortwährenden und immergleichen Korso von Frühling, Sommer, Herbst und Winter geben, so lange der wahre Schrecken eine von Kindern mit Fingern gemalte Fratze einer vereisten Fensterscheibe bleibt. Oberhalb der Malerei an sich, geraten die repräsentierten Gegenstände in eine vielsprechende Verwicklung – drei gemalte Buchrücken, von oben nach unten gelesen in einem seiner Bilder lauten: „Dunkelheit“, „Europa“, „Im Keller“. Dies muss nicht heißen, dass der Künstler selbst die „Dunkelheit über ein Europa im Keller“ sieht, aber dies kann heißen, dass diese Idee als Verständnis im Raum steht. Das Bild „ohne Titel (Die Welt ohne uns)“ aus dem Jahr 2023 muss auch keine apokalyptische Vorahnung drohender letzter Tage des Menschen sein, denn warum sollten sich nicht auch zukünftige Wesen des Menschen so gedenken, wie der Mensch heute dem Dinosaurier eine nahezu manische Beachtung schenkt, während sich deren Blick an einer weiteren Monstera deliciosa vorbei in eine neue Welt mit neuen Augen richtet.
von Thomas W. Kuhn, Flingern im Mai 2025