Ich muss dir schreiben. Nicht, weil die Zeit drängt. Ich muss die Dinge benennen, dir zuliebe und den anderen ins Gesicht. Es fällt mir nicht leicht, den Gedanken zu fassen. Dabei liegt alles schon da, gefaltet und sortiert. Allein – der Moment des Zugriffs entzieht sich mir. Aber darum geht es nicht. Vielmehr zeigt sich der Moment vor dem Zugriff. Bilder, denen das Sprechen noch nicht eigen ist. Nähte, die mehr Angst vor dem Aufdröseln schüren, als abgeschlossene Sicherheit zu vermitteln und eine Bühne, die Suchenden noch längst keinen Raum gibt oder sie wieder ausgespuckt hat. Ich muss die Dinge benennen, sie ansprechen, mich ihnen entgegenstellen, das Gespräch suchen. Nein, nicht suchen: zündeln, anstiften, wider sprechen.

Ich muss dir schreiben. Im Raum hat sich ein Moment festgesetzt, ein Augen Blick. All das Rasseln der Welt und das Sprechen ist verstummt oder nicht verstummt, es hängt zwischen den verhaltenen Bildern und dem schwarzen Gestank. Alles im Raum ist aus der Bewegung genommen, eine Bewegung, die sonst nur eine Richtung kennt.

Ich muss dir schreiben. Wie sich dieser Moment im Raum hält, weiß ich nicht. Ob er sich vergrößert oder verkleinert oder gar verlängert, liegt nicht in meiner Hand. Aus der hat er sich längst befreit. Aber du, du kannst diesen Moment fassen, ihn nach draußen tragen oder dich in ihm verlieren.

Tilo Schulz (*1972 in Leipzig) ist Künstler, Kurator und Autor. Er lebt in der Nordwestuckermark. Schulz wird seit 1993 von der Jochen Hempel Galerie vertreten. Einzelausstellungen waren von ihm u.a. in der Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig, der Wiener Secession, im The Model in Sligo, im Kassák Museum in Budapest, dem Kunstverein Hannover und dem Haus der Kunst in München zu sehen. Letztes Jahr hat er die Ausstellung ReFlex Bauhaus für Die Neue Sammlung in der Pinakothek der Moderne in München kuratiert. Dieses Jahr inszenierte Schulz die große Sammlungspräsentation Mixed Zone – Dialoge zwischen Kunst und Design im Neuen Museum Nürnberg.