Hartwig Ebersbach, Stephanie Kiwitt, Saul Leiter, Anne Morgenstern, Wilhelm Müller, Julia Schmidt, David Schnell, Erasmus Schröter, Tina Schulz, Andreas Schulze
„HUNGRY / HUNGRY“
18.01. – 22.02.2012
Galerie Jochen Hempel, Berlin
„HUNGRY / HUNGRY“
18.01. – 22.02.2012
Galerie Jochen Hempel, Berlin
HUNGRY / HUNGRY
Kuratiert von Andreas Schulze
Der Leipziger Künstler Andreas Schulze (*1965) arbeitet mit den Mitteln der Fotografie. In seiner Arbeit geht es ihm darum, die visuellen Grundzüge einer medialen Gesellschaft, welche auf Informationsüberfluss und ein Übermaß an Bildern setzt, zu reflektieren und sie in ihren Untiefen und Widerspüchen auszuloten.
Für die Gruppenausstellung HUNGRY / HUNGRY hat Schulze Arbeiten aus verschiedenen Medien zusammengetragen – Fotografie, Malerei und Zeichnung. Ausgangspunkt ist das komplexe Verhältnis zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit. Zuschreibungen, die die Fotografie als rein erzählerisches und die Malerei als formales Medium verstehen, erweisen sich als unhaltbar. Der moderne Gegensatz zwischen narrativer Figürlichkeit und abstrakter Formalisierung hat sich aufgesplittet in vielfältige Instanzen, wo auch das Abstrakte erzählt und das Figürliche den Realitätsbezug verliert.
In ihrer Arbeit Retina führt Tina Schulz (*1975) diese komplexen Bezugssysteme beispielhaft aus, wenn sie das Abbild einer menschlichen Netzhaut auf die Leinwand projiziert und in kleinen Bildpunkten auf der Fläche festhält. Der Prozess der neuronalen Bildverarbeitung aus Einzelsignalen wird hier bei der Bildentstehung nachvollzogen.
Abstraktion als einen Prozess der Distanzierung von einer gegenständlichen Erzählung führt der Leipziger Maler Hartwig Ebersbach (*1940) aus, wenn er seine Bilder vom konkreten Motiv her entwickelt und sie dann im weiteren Prozess auflöst – im pastosen Farbauftrag quasi „zermalt“, bis sie nur noch Bewegung und Dynamik sind.
David Schnell (*1971) differenziert in seinen Landschaften zwischen einer scheinbar klaren Gegenständlichkeit und Momenten eruptiver Abstraktion. Die gegenständlichen Motive scheinen zuweilen in ein Kaleidoskop von Bildelementen zu zerbersten. Ganz anders ging der Dresdner Maler Wilhelm Müller (*1928–1999) vor, der, ausgehend von der leeren Fläche, in ruhiger Konzentration additiv seine klaren abstrakten Strukturen entwickelte.
In ihrer wandfüllenden Installation konzentriert sich die Fotografin Stephanie Kiwitt (*1972) auf die Bodenstrukturen einer Brachlandschaft. In dieser Fokussierung verselbstständigen sich ihre Fotografien zu einem Panorama, das zwischen abstrakten und sehr fassbaren Momenten changiert.
Der amerikanische Fotograf Saul Leiter (*1923) entwickelt die erzählerische und formale Dimension seiner Kompositionen, indem er abstrakte Elemente in eine mögliche Erzählung ragen lässt und sie damit wegschneidet oder überdeckt.
Momente des Übergangs sind ein zentrales Motiv in den Arbeiten von Anne Morgenstern (*1976). In ihren Porträts von Jugendlichen, die sich an der Schwelle zum Übertritt in die Erwachsenenwelt befinden, tritt das Moment der Konditionierung durch abstrakte, gesellschaftliche Normen ins Bild. Morgenstern beobachtet junge Menschen, die sich den Anforderungen der Erwachsenenwelt ausgesetzt sehen und gleichzeitig versuchen, ihre Individualität zu wahren.
Die Zurichtung von Individuen spiegelt sich dagegen in der Arbeit Hairbraiding II von Julia Schmidt (*1976) – wenn der Hinterkopf einer Frau malträtiert wird, um sie für eine Modenschau zurechtzumachen.
Die Konditionierung des individuellen Erlebens durch gesellschaftliche Vorstellungen vollzieht sich nicht zuletzt dadurch, dass wir uns unaufhörlich mit medialen Bildern konfrontiert sehen. Dafür mag das Porträt Tätowierter vor Karussells von Erasmus Schröter (*1956) stehen – ein Mann, dessen Haltung Unsicherheit, aber vielleicht auch Trotz verrät. In seiner Pose ist er sich seiner Bildwerdung sehr wohl bewusst. Sein abgelenkter Blick und die verhaltene Bewegung verdeutlichen jedoch seinen Widerstand gegen abstrakte äußerliche Vorgaben.
Text: Sandra Rendgen